Freitag, 18. Oktober 2013

Tonna: Papageienlärm


Ich höre den Papagei erwachen. Ich höre ihn durch die Decke, durch das Holz, in meinem Zimmer, wie er sich im Bett auf die Seite dreht, sich aufsetzt, der Schlafsack knistert, als er ihn zusammenknüllt und gegen das Matratzenende wirft. Ich höre ihn aufstehen, ein wenig unbeholfen, zittrig noch, mit jedem Schritt, den er nehmen muss, um seine Kleidungsstücke einzusammeln, gewinnt er an Sicherheit. Angezogen stellt er sich vor den Spiegel, streckt die Hand nach meinem Deo aus und zieht sie sofort wieder zurück, erschrocken über sich selbst, denn es ist zwar ein Männerdeo, aber dasselbe Deo zu tragen wie eine Frau, so zu riechen wie eine Frau, so zu riechen wie ich, ist für den Papagei mehr als peinlich, es ist beschämend, beleidigend, ein Verrat an ihm und seinem guten Stil. Mit zwei Fingern der linken Hand streicht er die Haare auf den Seiten glatt und strubbelt die oben auf der Kopffläche auf, drückt die beiden Schneidezähne in seinem Mund zusammen, sodass die kleine Lücke zwischen ihnen verschwindet, die immer in der Nacht wieder aufgeht und durch die man, so glaubt er, in seinen Mundraum hineinsehen kann. Er nimmt seinen Kopf in beide Hände, indem er die Fingerkuppen an bestimmte Punkte im Gesicht setzt und die Finger dann auseinander spreizt, sodass seine Züge sich dehnen und strecken und hauttransplantationsartig und grotesk verzerren. Der Papagei zählt bis zwanzig, wartet kurz und zählt noch einmal bis fünfzehn, bevor er die Spannung gehen lässt und die Gesichtshaut an ihren Platz zurück schwappen darf. Er grinst sich im Spiegel zu, ignoriert den ungesunden Blauton um die Augen herum, der vom Alkohol oder dem Schlafmangel herrühren könnte und verlässt mein Zimmer, mit polternden Schritten schwingt er sich die Treppe hinunter. Er ruft nicht nach mir, ich höre ihn im Hauseingang die Schuhe anziehen und sich die Jacke über die Schulter hängen, und dann geht die Tür auf und mit Elan wieder zu und er ist fort, und die Stimmung im Haus verändert sich, ausgehend von mir, als wäre ich mit seinem Abgang einen physischen Schmerz losgeworden, eine Druckstelle, das Wissen, dass er im Haus ist und mit mir sprechen könnte, würde er es denn wollen.

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