Wenn ich an gestern denke, kommt mir
als erstes die Erinnerung an Tonna, wie sie dasitzt und versucht, die
Karten zu mischen. Sie fallen ihr herunter, sie lacht ein wenig dumm
und nimmt sie wieder auf, kehrt die, die verkehrt herum liegen, wieder
um und beginnt von Neuem zu mischen. Ein paar Leute sitzen herum, wir
warten um irgendein dämliches Trinkspiel zu spielen. Irgendwann
nehme ich Tonna die Karten aus der Hand, um selber zu mischen. Es
sind Karten des deutschschweizer Jasskartensets. Zum ersten Mal in
meinem Leben fallen mir die Figurenkarten auf, Under, Ober und
Könige, und ich vergesse die Menschen um mich herum und nehme die
Karten aus dem Set und ordne sie nach Symbolzugehörigkeit um mich
herum an. Besonders eine Karte drängt sich mir auf. Er sieht anders
aus, der Schellenunder. Anders als der Eichenunder mit dem traurigen
Blick, anders als der übereifrige Schiltenunder mit seinem Brief in
der ausgestreckten Hand und der Feder hinter dem Ohr, anders als der
stolze Rosenunder, der seine Pfeife pafft, als wäre sie ein
Statussymbol. Schelmisch lächelnd steht er da, blickt als Einziger
mich an, die eine Augenbraue wie im Spott leicht hochgezogen, die
Zigarette im Mundwinkel und ein Gebilde um den kreisrunden Kopf
geschlungen, von dem ich nicht weiss, nicht wissen kann, ist es ein
Hut oder eine Blume, eine Narrenkappe oder ein Fasnachtskostüm? Wer
er wohl ist, der Schellenunder, der so anders ist als die anderen, so
anders als alle anderen Karten im Spiel? Versteht er sich mit ihnen,
mit den Königen, den Obern, den anderen Undern, oder gehört er gar
nicht dazu? Er gehört nicht auf dieselbe Weise zum Spiel, wie sie
zum Spiel gehören. Er gehört zum Spiel, aber nicht dem Spiel. Er
ist mehr als ein Bild auf einer Karte, mehr als eine Figur im Rennen,
mehr als eine Punktzahl auf dem Blatt. Er hat ein Leben, irgendwo
ausserhalb der Ränder seiner weissen Karte, irgendwo dort, wo wir
nur in den Träumen hingelangen, steht er da und lacht und küsst eine
Frau.
'Spielen wir jetzt ein Trinkspiel oder
nicht?', fragte irgendjemand, ich glaube, es war Häschen, wütend,
weil er ohne Trinkspiele nicht weiss, wie er Spass haben soll.
'Quentin, gib die Karten her.' Ich wollte erst aufstehen und die Runde
verlassen, aber dann dachte ich, was solls, zündete mir eine
Zigarette an und schenkte mir von dem herumstehenden Whisky
vierfingerbreit ein in mein Glas.
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