Model: Mia Jenni |
Musik: Casper - Im Ascheregen
Wie viel Bier: 2
Erstes Mal: Aila ist noch Jungfrau.
Achtzehn
Ich bin jetzt achtzehn. Das Sonnenlicht scheuert gegen die schweren dunkelblauen Vorhänge. Sie saugen es auf und geben ein wenig davon in mein Zimmer ab. Die Decke ist niedrig. Manchmal stosse ich mir meinen Kopf an der Lampe. Ich bleibe noch ein wenig unter der Bettdecke liegen und rieche an einer meiner Haarsträhnen. Sie riecht nach Flusswasser, und nach Rauch, und nach der Wärme, die sich im Schlaf zwischen Körper und Stoff ausbreitet und immer ein bisschen schmutzig und abgestanden ist.
Über Wasser
Kommst
du auch, wir springen von der Brücke, fragte Una mich gestern Abend,
flüchtig, an meiner Schulter vorbei, wie ich so in der Ecke des
Balkons stand und den Filter meiner Zigarette rauchte. Js Party war
da schon fortgeschritten gewesen, und ich hatte Una längst dreimal
verloren und dreimal wieder gefunden. Sie trug eines ihrer Bandshirts
von irgendwem und stand meist in einer Gruppe Menschen und lachte und
unterhielt sich über Bands und T-Shirts, die ich nicht kenne. Ich
kenne mich schlecht aus in Musik. Zum Malen höre ich immer Adam
Lambert. Aber das weiss keiner. Ja klar, sagte ich, drückte endlich
meine Zigarette aus und folgte ihr ins Haus und die alte Treppe
runter.
Als
wir am Fluss standen, Adorno war auch mitgekommen, aber er schlurfte
irgendwo hinterher, lehnte Una sich leicht übers Geländer, sodass
die Stange ihre Brüste hochdrückte. Der Fluss spiegelt die Sterne,
sagte Una und zog ihr Oberteil aus, als wolle er unsere Realität in
Frage stellen. Adorno sah sie von der Seite her an. Dann setzte sie
sich aufs Geländer und liess die Beine über dem Wasser baumeln. Ich
zog mein T-Shirt ebenfalls aus, dann merkte ich, dass ich einen
hautfarbenen BH trug, und ich fragte mich, ob das jetzt sexy ist oder
nicht.
Als
ich ins Wasser eintauchte, als ich merkte, wie der Stoff meiner Jeans
mich nach unten zog, als ich merkte, wie schwarz alles unter Wasser
war und wie hell darüber, war die Nacht für einen Moment
unterbrochen und schön. Ich lag in den Sternen. Ich bewegte meine
Beine, um nicht unterzugehen. Im Wasser war mein Körper blass und
leicht.
Una
und Adorno schwammen ein Stück links von mir. Ich schwamm zu ihnen
hinüber, sagte zu Una: Du hattest recht, es war echt geil. Sie
nickte. Sagte ich's doch. Sie stützte sich auf Adornos Schulter ab.
Sie sahen beide so schön aus vor der Waldkulisse, wie auf einem
Plattencover, wie sie leicht frierend in die Ferne schauten. Es war
ein Bild, das man am liebsten zwischen seinen Fingern zerreissen
will, oder noch besser zerreiben, wie Sand, ohne Überreste. Aber
stattdessen versuchte ich nebenan, mich über Wasser zu halten, und
fror, und niemand auf der Welt hatte bemerkt, dass zwölf gerade
vorbei war. Gehen wir langsam – begann ich.
Pscht,
machte Una und wischte sich das Wasser aus den Augen. Ich will den
Fluss hören.
Adorno
sagte nichts. Er hatte die Hand auf Unas Taille gelegt und zog sie
jetzt enger an sich.
Bunte Wände
Ich setze mich im Bett auf und ziehe die Vorhänge auseinander. Ich ging gestern alleine zur Party zurück. Jetzt stehe ich auf und reisse ein paar Bilder von der Wand über meinem Schreibtisch. Das tue ich oft, denn die ganze Wand ist zugeklebt mit Zeitungsauschnitten und Fotoautomatbildern, mit denen ich mir einmal individuell vorgekommen bin, bis ich merkte, das jedes zweite Mädchen in meinem Alter an einer bestimmten Wand den Müll hortet, den sie für ihre Identität hält - es ist die immergleiche Mischung aus Modezeitschriftausschnitten mit Retrofilter drauf, Postkarten aus Spanien und Istanbul, auf Karopapier gekritzelten Zitaten und sorgsam aufgeklebten Festivalbändchen.
Eigentlich rauchen wir alle nicht
Bunte Wände
Ich setze mich im Bett auf und ziehe die Vorhänge auseinander. Ich ging gestern alleine zur Party zurück. Jetzt stehe ich auf und reisse ein paar Bilder von der Wand über meinem Schreibtisch. Das tue ich oft, denn die ganze Wand ist zugeklebt mit Zeitungsauschnitten und Fotoautomatbildern, mit denen ich mir einmal individuell vorgekommen bin, bis ich merkte, das jedes zweite Mädchen in meinem Alter an einer bestimmten Wand den Müll hortet, den sie für ihre Identität hält - es ist die immergleiche Mischung aus Modezeitschriftausschnitten mit Retrofilter drauf, Postkarten aus Spanien und Istanbul, auf Karopapier gekritzelten Zitaten und sorgsam aufgeklebten Festivalbändchen.
Eigentlich rauchen wir alle nicht
Als
ich zurück war vom Fluss, die Haare nass und stinkend und die Jeans,
sie klebten in meinen Kniekehlen, und ich fror, da stand ich vor der
Haustüre, wo niemand war, lehnte mich an und fragte mich, ob es
immer und überall eine Person zu viel gab, die Übriggebliebene,
die, der am Achtzehnten nicht gratuliert wurde, die
Nebendarstellerin. Dann kam Häschen zur Tür hinaus. Häschen hat
eine hübsche Art, irgendwo aufzutauchen, einen immer etwas
verwunderten Blick und wirkt überall, als hätte man ihn gerade ins
Bild geschnitten. Trotz der blauweissen Karohemden und Allstarschuhe
und Shampoolocken wirkt er immer irgendwie weltfremd. Gestern Abend,
als er durch diese Haustüre zu mir kam, tropfte ihm Bier von der
Unterlippe, und er fuhr mit seiner Hand unschlüssig über meine
Haar, eine schnelle, fahrlässige Bewegung, als wolle er Schmutz von
mir abwischen. Nachher redeten wir, das ging ungefähr so:
Häschen Wieso
bist du so nass?
Aila Ich
bin von der Brücke gesprungen.
Häschen Ohne
Scheiss?
Aila Ja.
Häschen Einfach
so? Ganz allein?
Aila Mit
Una und Adorno.
Häschen Und
wo hast du die gelassen?
Aila Sind
noch geblieben.
Häschen Schade.
Una wollte mir noch irgendein Lied zeigen. Sag mal, hast du ne
Zigarette?
Aila Nein.
Ich rauche eigentlich nicht.
Häschen Eigentlich
rauchen wir alle nicht. Warte, ich geh uns zwei schnorren.
Als
Häschen wieder reingegangen war, setzte ich mich auf den
Vorplatzboden und schloss die Augen. Ich wäre gerne ins Koma
gefallen, in diesem einen schönen Moment. Ich wollte in einem
weissen Bett liegen, und viele Leute sollten darum herum stehen. Und
alle sollten heulen.
Häschen Hier.
Aila Danke.
Hast du auch Feuer?
Häschen Ja.
Aila Heute
ist mein Geburtstag.
Ich
ging mit Häschen zurück ins Wohnzimmer, ich holte mir noch etwas
zu trinken, weil mir danach war, hinter dem Schleier zu verschwinden:
Kerouac sagte, ihn interessierten nur die verrückten Menschen, die
die ganze Nacht lang brennen, brennen, brennen. Er sagt das wirklich
so, dreimal. Und wie sollte ich brennen, wenn ich dann schon nach
Hause gegangen wäre – Häschen war plötzlich weg, dafür stand
Una nach einer Weile vor mir, und sie fragte mich, ob ich auch schon
gehört hätte, dass es im Zimmer nebenan gerade zwei auf dem Klavier
trieben. Ich weiss nicht mehr, was wir noch geredet haben. Ich weiss,
dass ich nachher wirklich nach Hause ging. Die Strasse war noch warm
und ich dachte: Es wäre schön, jetzt barfuss zu gehen. Aber ich
konnte mich nicht überwinden, meine Schuhe auszuziehen. Ich mochte
mich nicht bücken und die Schnürsenkel auseinanderziehen. Ich
schaute zum Waldrand, wo wir vorher aus dem Fluss geklettert waren.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass diese Blätter jemals wieder so
grün sein würden wie am Tag.
Sommerferien
Unas Zeit ist immer. Sie hätte die Schuhe ausgezogen, wäre sie gestern nach Hause gegangen.
Sie
hätte den warmen Boden gespürt und nachher den anderen davon
erzählt. Ich weiss zwar, dass der Boden warm ist, ich weiss, dass
die Nacht schön und die Jugend verheissungsvoll ist, aber ich kann
nichts davon spüren. Ich spüre nur, dass die Nächte schwarz sind
und einsam und am Tag gibt es manchmal Kuchen, den ich dann auf meine
Leinwand male oder an meine Wand pinne. Sonst gibt es hier nicht viel
zu sehen.
Schon gar nicht mit achtzehn. Am achtzehnten Geburtstag, allein zuhause. Ich frage mich, was ich sonst hätte tun sollen. Ich stelle mir eine Party vor, Fee und Quentin und Tonna und Adorno und Häschen und der Papagei bei mir zu Hause. Ich hätte manchmal gerne mehr mit ihnen geredet, in den Sommerferien, dachte ich, würden wir uns bestimmt richtig kennen lernen. Aber an den Abenden im Park wusste ich den anderen nichts zu sagen, und am Ende des Abends war es nicht kühler als am Tag, und als die Schule wieder anfing, änderte sich auch nichts, ausser, dass ich meine alte Lederjacke wieder anzog und mich etwas rebellisch fühlte.
Teppichflusen
Ich
stehe auf und gehe ins Bad und vor dem Spiegel denke ich: Ich sehe
aus wie ein Typ, ich sollte mir mal wieder meine Augenbrauen zupfen;
dann beginne ich an dem kleinen Hügel am linken Mundwinkel
herumzukratzen, das Sonnenlicht durchs Fenster tut weh im Kopf, und
ich frage mich, ob gestern wirklich zwei Sex hatten auf dem Klavier,
Una hat nicht gewusst, wer es war, aber sie meinte, Adorno hätte es
ihr gesagt, und der erfindet sowas nicht. Lehne mich zurück an die
geflieste Badezimmerwand, ziehe mein Schlaf-T-Shirt aus; blasse
Brüste und ich frage mich, wie das ist auf einem Klavier, ob man da
den Deckel über den Tasten geschlossen hat und ob mich auch mal
jemand an ein Klavier drücken wird. Wieso tun das eigentlich immer
die Leute, von denen man es sowieso erwartet? Ich meine ich weiss
nicht, wer es war, aber es war sicher ein Typ mit Karohemd, und es
war sicher ein Mädchen mit kurzen Jeanshöschen, es gab so viele von
denen dort, so viele, ich weiss gar nicht, woher J die alle kannte.
Ich
ziehe meine Unterhose aus und werfe sie auf den Teppich und habe
plötzlich Lust, auf die Flusen zu spucken. Doch dann wäre der
Teppich einfach feucht, und selbst wenn ich nackt in den Garten
stehen würde, würden meine Nachbarn einfach blöd dreinschauen und
schlimmstenfalls ihren Sonnenschirm aufstellen, um mich nicht sehen
zu müssen, selbst dann würde nichts Unerwartetes oder Aufregendes
passieren, und alles war so vorhersehbar.