Dienstag, 15. Oktober 2013

Quentin: Erinnerungen an letzte Nacht


Erinnerung an letzte Nacht, von der ich nicht weiss, ob sie ein Traum war oder wirklich geschah.

Zitternd schwingt die dickgewordene Luft, dumpf vibrieren die Wände im Bass. Die Lampen an der niedrigen Decke, an der sich Köpfe stossen, bewegen sich hin und her und werfen zuckende Schatten auf den Boden, zuckende Schattengestalten von Menschen, die sich in der Musik wie in Flüssigkeit bewegen. Es ist eng, eng und stickig, der Geruch nach Alkohol, Rauch und Schweiss beginnt sich festzusetzen in den Wänden, in den Möbeln, in den Ecken. Irgendjemand stoppt abrupt das Lied um ein nächstes abzuspielen, ein langsameres, leichteres, flüssigeres, eines, während welchem die Lampen Zeit haben, sich in den Stillstand zu schwingen. Ich blicke mich um, sehe Pärchen an Wänden lehnen, Männer mit Frauen tanzen und Menschen, die Gläser leeren, als enthielten sie nur Wasser. Irgendwo am anderen Ende des Raumes wendet sich ein Gesicht mir zu, als hätte sie meinen Blick angesogen, gerufen, hebt Tonna den Kopf und sieht mich mit einer Verzweiflung an, die um Hilfe schreit. Ich beginne mich durch den Raum zu kämpfen, versuche, nicht abgelenkt zu werden von meinen Gedanken, die sich in Nebel verlieren und schwimme durch die alkoholgesättigte Luft, ich weiss nicht, wo mein Atem endet und wo die Menschen beginnen. Der Boden klebt unter meinen Füssen wie sumpfiger Morast, der sich mit einem seufzenden Ploppen von den Fusssohlen löst, es ist spät, viel zu spät, es ist die Zeit, in welcher Gläser brechen, Menschen zu zweit in Zimmern verschwinden und man schlafen sollte, nur schlafen, bis die Träume kommen, aber den Weg nicht finden können. Tonna streckt die Hände nach mir aus, hilflos wie ein Fisch, der an der Luft erstickt. Wenn ein Fisch ersticken kann. 'Komm.' Ich forme das Wort mit den Lippen, nicht mit meiner Kehle, mein Hals ist wundgerufen, wundgeraucht und die Musik lässt keine Geräusche neben sich zu. Ich ziehe Tonna zur Tür, über das schwankende Treppenhaus in ein fremdes Zimmer mit weissen Gästebetten. Am anderen Ende des Zimmers murmelt jemand leise im Schlaf, ich drücke die Tür hinter uns zu und ersticke den Lichtschimmer, der mit uns auf den Boden fiel, Dunkelheit legt sich über mein Gesichtsfeld. 'Was ist los?', flüstere ich und setze mich mit Tonna auf eine Matratze, die nicht mir gehört. 'Ich weiss nicht', antwortet sie mit einer Stimme, die weich und geschmeidig und zitternd ist und ich kann hören, dass sie weint. 'Ich bin so einsam', sagt sie leise. Erschrocken greife ich nach ihr, aber alles, was ich fasse, ist die Dunkelheit. 'Du bist nicht einsam', versuche ich zu sagen, aber die Worte verlieren sich irgendwo auf dem Weg zwischen meinem Kopf und meiner Zunge. Ich merke, dass ich betrunken bin, und drücke zwei Finger gegen meine Augen bis es schmerzt, aber der Nebel in meinem Kopf bleibt wie die Dunkelheit im Zimmer, die zermürbende, zerfressende Dunkelheit, die alles verschlingt ausser Tonnas Stimme. 'Wir sind alle einsam', sagt Tonna zwischen zwei Schniefern. 'Wir sind einander nie nahe, nie wirklich. Ich will mich in der Erde vergraben und tausend Jahre schlafen.' Ich drücke die Finger noch stärker in meine Augen und beisse mir auf die Lippen, versuche, die Worte zu finden, die heilen, aber meine Gedanken verflüchtigen sich wie Rauch, ich fasse nach ihnen und sie sind fort. Ich höre Tonna noch immer weinen, ich würde sie gerne festhalten, aber ich kann ihren Körper in der Dunkelheit nicht finden.

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