Freitag, 25. Oktober 2013

Tonna: Menschen mit Hüten


Ich laufe auf einem Weg zwischen Bäumen, im Wald, durch das Blätterdach tropft schräg die Sonne, der Waldboden mit den fleckenartigen Lichttupfen hat das Aussehen eines zu gross geratenen, durcheinander geschüttelten Schachfeldes. Durch den Mergel auf dem Kiesweg quellen die Pflanzen, Gras wächst von beiden Seiten auf die Mitte zu, nur auf einem zweihandbreiten Streifen sieht man noch ein Stückchen Weg. Auf diesem Stückchen Weg renne ich, unter Bäumen, unter Ästen, unter Rinde und Blättern und kreischenden Vögeln hindurch.

Ein verschwitzter Jogger in gelbem ärmellosen Shirt kommt mir entgegen, ein Mann mit Walkingstöcken, eine Dame mit Dalmatiner und Hut. Menschen mit Hüten sehen immer ein wenig seltsam aus, ein bisschen antik, als wären sie aus Modezeitschriften aus dem vergangenen Jahrhundert hinaus spaziert und könnten den Rückweg nicht mehr finden.
 



Häschen hatte einen Hut an, gestern. Nicht von Anfang an, er hatte den irgendwo gefunden, in der Garderobe oder im Kleiderschrank von Js Vater. Er sah damit nicht gut aus, obwohl er das wahrscheinlich dachte. Ich hätte ihm gerne gesagt, er solle ihn doch ausziehen, aber es kam mir irgendwie nicht richtig vor, weil er so nett zu mir war. Quentin hätte es ihm gesagt. Aber Quentin ist manchmal auch ein Arschloch. Vor allem, wenn er getrunken hat. Als ich gestern irgendwann in der Nacht mit ihm in diesem Zimmer war, gegen Ende der Party, bevor Häschen seinen Hut anzog und bevor der Papagei sich auf mich stürzte, und ich Quentin erzählte, wie einsam ich sei, da ist er nur dagesessen und hat in die Dunkelheit geatmet. Obwohl wir allein waren und obwohl er hören musste, dass ich weinte. Er hätte mir helfen können. Er hätte mich trösten können. Er hätte mich umarmen können, mir einen Witz erzählen, irgendetwas. Aber er sass nur da und war still, als wäre er vor Langeweile eingeschlafen, und da bin ich aufgestanden und aus dem kleinen Gästezimmer hinunter in das Wohnzimmer gegangen und habe die Bilder an den Wänden angestarrt, kubistische Malereien und aufgehängte Gedichte von Christian Morgenstern. 


Irgendwann, als ich die blöden Gedichte schon auswendig konnte, bin ich in das Nebenzimmer rein, da lag Häschen auf dem weissen Bett, als würde er schlafen. Er setzte sich auf, als ich eintrat, und fragte mich, warum ich denn so scheisse aussähe. Das hat er wirklich so gesagt, Tonna, warum siehst du denn so scheisse aus. Häschen kennt da nichts. Da habe ich wieder zu weinen begonnen und er hat meinen Arm gepackt und ist mit mir auf den Balkon gegangen, da sassen wir und haben geredet, bis Häschen keinen Gin mehr hatte und ich nach Hause wollte und den Papagei vor der Tür treffen durfte. Ich war so verzweifelt, als sich der Papagei bei mir einhängte, und ich wollte Quentin noch eine Chance geben, mir zu helfen, und ich wusste auch nicht, wen ich sonst um Hilfe bitten sollte, also habe ich ihm geschrieben, weil er irgendwie nirgends mehr zu sehen war, er solle doch kommen und mich vor dem Papagei retten. Aber er hat nicht zurückgeschrieben, wahrscheinlich war es ihm egal. Also habe ich den Papagei mitgenommen. Einen Augenblick lang habe ich mir sogar überlegt, ob ich nicht mit ihm schlafen sollte, aber das war mir dann doch zu widerlich, das hätte ich nicht ertragen können. Und ausserdem hätte es Quentin sowieso nicht gekümmert, er hätte nur eine Augenbraue hochgezogen und gesagt: Ach. Oder mich ausgelacht, eher.

Eine durch und durch absurde Idee, also.

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