Montag, 21. Oktober 2013

Häschen: Hemd mit Muster


Ich war nicht betrunken gestern Nacht, aber die Welt spannte sich vor mir auf wie ein bedrucktes Tuch mit verworrenen Mustern und Farben, die man nicht einordnen kann. Die Abende in den Sommerferien sind bisher ineinander gelaufen: Ich ging aus dem Haus, denke: Heute passiert was. Ich habe immer so ein blauweiss kariertes Hemd getragen. Das habe ich mir irgendwann während der letzten Prüfungen gekauft, als wir mal nach der Schule in die Stadt gingen und Fee noch Unterwäsche kaufen wollte. Sie wollte das bestimmt, damit die anderen Männer, also Adorno und der Papagei und Quentin, sie sich nachher in dieser Unterwäsche vorstellten. Ich glaube, Fee mag die Vorstellung, dass sich jemand wegen ihr einen runterholt.

Da habe ich mir jedenfalls, während die anderen vor dem Unterwäscheregal standen, in der Männerabteilung dieses Hemd gekauft. Es roch nach Sommer, nach Freiheit, nach am Konzert in der ersten Reihe stehen. Das habe ich mir während der Prüfungen immer vorgestellt: Dass ich diesen Sommer an irgendeinem Konzert in der ersten Reihe stehen werde. Ich hatte nie eine genaue Vorstellung, was für eines das sein konnte. Obwohl wir den ganzen Sommer oft über Konzerte und Musik und Festivals gesprochen haben und wer wo auftritt und welche Künstler gut und welche scheisse sind, fällt mir jetzt, im Rückblick, ein, dass ich auf keinem einzigen Konzert war. Das Hemd war immer Verheissung, leere Verheissung für einen Abend, an dem wir am Schluss doch nur im Park sassen und nichts passierte. Ich glaube, die anderen störte das nicht so wie mich. Adorno war froh, dass überhaupt jemand ihn dabei haben wollte. Una machte die Konversation mit der ganzen Gruppe, indem sie Bemerkungen über Bäume, Wolkenmuster oder die verkommene Gesellschaft fallen liess, wobei Adorno ihr an den Lippen hing. Aila hing gedankenverloren an ihrer Bierflasche, brauchte lächerlich lange, um sie leer zu trinken, und versuchte gar nicht erst, witzig zu sein; und Fee, ja, Fee wartete wohl auch auf etwas. Sie kam nicht jeden Abend mit, als wollte sie sich dadurch rar machen, und einmal sahen wir sie mit irgendeinem Typen in einer dieser abstossend gepflegten Bars in der Nähe des Bahnhofes sitzen, und der Typ war auch ganz abstossend gepflegt. Seither kann ich Fee noch weniger ernst nehmen als vorher, und den anderen geht es, glaube ich, ähnlich.
Der Papagei verschwand meist um halb zwölf und meinte, ein Kumpel habe ihm gerade noch geschrieben, er nehme den Achtunddreissiger in die andere Stadt, wo mehr abgehe als hier bei uns. Das betonte er immer: Den Achtunddreissiger in die andere Stadt, als mache ihn die Angabe der Abfahrtszeit des Schnellzuges glaubwürdiger. Wir kicherten dann ein wenig und machten ein paar Sprüche über den Papagei, aber irgendwann waren wir es leid und fragten uns nur noch, wieso er immer noch bei uns auftauchte.

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