Samstag, 5. Oktober 2013

Quentin: Aufwachen


Aufwachen
Ich erwache vom brüllenden Lärm eines wildgewordenen Löwenmännchens, das von hoch oben hinunter in meine Ohren schreit. Ein paar Tropfen seiner Spucke rinnen über meine Stirn. Ich mache die Augen auf, sie sind nass und verklebt, eine gelbliche Schicht liegt über meinem Gesichtsfeld. Es ist keine Spucke, es ist Bier, und es ist kein Löwe, es ist eine Autobahnbrücke. Ich versuche mich aufzusetzen. Ich setze mich auf. Ich sitze auf einem Stein, er ist unangenehm scharf und pikst in mein Bein. Ich sitze schräg in einem Hang, hinter mir steigt die Welt leicht an, Betonplatten, die die Erde am Boden halten, über den Platten läuft die Brücke in den Hang. Vor mir ein Kiesweg, darunter Büsche, dann ein Fluss. Die Welt riecht nach erkaltetem Rauch und Bier, oder ich rieche nach erkaltetem Rauch und nach Bier. Ich versuche aufzustehen, mir wird ein wenig schwarz vor Augen, aber ich stehe. Kopfschmerzen kommen und gehen in Wellen, sinuskurvengleich. Ich klettere den Abhang hinunter auf den Weg, der Kies knirscht und wirft weissen Staub in die Luft. Keine Schuhe habe ich an. Nur Socken. Ich drehe mich nach links, nach rechts. Kein Mensch, keine Möwe, verdreckte Tauben nur. Wie spät es wohl ist? Es muss früher Morgen sein, der Himmel ist schon hell, aber keine Sonne, und auch keine Wolken, hinter der sich die Sonne verstecken könnte. Es ist Tag. Es war Nacht. Was war in der Nacht? Party. Js Party. Ich kann mich ziemlich gut an letzte Nacht erinnern. Die Fülle der Erinnerungen steht in keinem Verhältnis zum Alkoholkonsum. Oder den Kopfschmerzen. Vielleicht ersetzen die Kopfschmerzen ja die fehlenden Erinnerungen. Vielleicht erhält man immer nur das eine, Kopfschmerzen oder Blackout, und es ist wie Lotto, was man kriegt, wie Roulette, ausser dass man nicht setzen kann. Ich will auf mein Smartphone schauen, um die Zeit zu erfahren, aber noch bevor ich nach meiner Hosentasche fassen kann, fällt mir ein, dass ich ja kein Smartphone besitze. Ich durchsuche dann trotzdem die Hosentasche und finde mein aufklappbares Retrohandy, das so alt ist, dass es eigentlich in sein sollte, es aber nicht ist. Keine Anrufe verpasst, zwei seltsam verzweifelt klingende SMS von Tonna von 5 Uhr 03 und 5 Uhr 04. '?Wo bist du?' und 'Wo bist du, Hilfe, der Papagei'. Es hat keinen Sinn, ihr jetzt zurückzuschreiben, sie wird es vergessen haben. Was macht der Papagei mit Tonna? Ich überlege, ob ich wütend werden sollte, aber mir will nicht einfallen weshalb, also lasse ich es sein. Es ist halb sechs, sagt mein Handy mir. Zu früh, um nach Hause zu gehen. Wohin dann? Immer noch niemand auf diesem komischen Kiesweg, auf dem ich so verlassen stehe. Wohin nur? Ich würde gerne zurück an die Party, aber die Party ist vorbei.

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