Ich
putze mir gerade die Zähne, als es an der Tür klingelt. Ich höre
mit den Bürstbewegungen auf und lausche, ob jemand aus meiner
Familie zur Tür geht, um sie zu öffnen, aber es bleibt still, also
spucke ich die Zahnpastasosse, die weiss ist mit kleinen hellblauen
Pünktchen darin, in das Waschbecken, gebe die Zahnbürste von einer
Hand in die andere, weiss nicht, wohin mit ihr, stecke sie der
Einfachheit halber und auch, weil sie dort irgendwie hingehört,
wieder zwischen meine Zähne und laufe zur Tür. Quentin sieht besser
aus als gestern. Er hat sich die Haare gewaschen und frische Kleider
angezogen, obwohl ich das eigentlich nicht sicher wissen kann, weil
seine Haare trocken sind und er immer dieselbe Kleidung trägt,
dunkle Jeans, dünner dunkler Pullover, schwarze Jacke darüber.
'Hallo Quentin', sage ich und nehme die Zahnbürste aus meinem Mund.
'Gut ausgenüchtert?'
'Bestens.
Ist der Papagei nicht mehr hier?' 'Nein. Der ist schon seit Stunden
fort.' 'Ah.' Quentin wippt ein wenig auf seinen Schuhsohlen vor und
zurück. Er trägt seltsame Schuhe aus Leder, die irgendwie modisch
aussehen und vorne spitz zulaufen und so gar nicht zu ihm passen
wollen.
'Kommst
du mit?', fragt er, als er genug gewippt hat.
'Wohin
denn?' 'Zu Aila nach Hause. Hat dir Una keine SMS geschrieben?' 'Mein
Handy ist aus.' 'Ach so. Aila hat Geburtstag. Anscheinend. Hat sie
gesagt. Geschrieben. Wir sollen zu ihr. Kommst du mit?'
Wir
gehen zu Fuss, Aila wohnt nicht weit von mir, zwanzig Minuten
vielleicht, fünfundzwanzig, wenn ich mit Quentin gehe. Er läuft
immer so langsam, als hätte er etwas hinter sich liegen lassen und
könnte sich nicht entscheiden, ob er umdrehen und es holen soll oder
nicht. Er schweigt ein bisschen, als wir nebeneinander herlaufen, und
ich frage mich plötzlich, an wie viel von gestern Nacht er sich
erinnert, und ob ich noch wütend auf ihn bin. Weil er mich mit dem
Papagei im Stich gelassen hat und auch, weil er manchmal einfach ein
Arschloch ist. Aber mich vor dem Papagei zu beschützen ist
eigentlich nicht seine Aufgabe. Überhaupt bin ich nicht seine
Aufgabe. Seine einzige Aufgabe, vor allem an einer Party, ist es,
Spass zu haben. Aber das hat er, glaube ich, auch nicht allzu gut
hingekriegt. Quentin bleibt stehen, zieht mit den Lippen eine
Zigarette aus der Packung und zündet sie sich mit einem altrosa
Feuerzeug an. Er nimmt den Rauch in den Mund und bläst ihn über
seine rechte Schulter fort, damit ich ihn nicht atmen muss, aber das
ist so etwas, das können auch nur Raucher glauben, dass das
funktioniert, wenn sie den Rauch einfach fortblasen, ich rieche ihn
natürlich trotzdem. Seine Zigaretten riechen besser als die vom
Papagei. Quentin raucht und geht neben mir her und schweigt und sieht
mich ab und zu an und scheint zu warten, dass ich etwas sage. Dass
nicht er mit dem Plaudern beginnt, ist ein wenig seltsam, aber
vielleicht ist ihm ja doch aufgefallen, dass er gestern nicht allzu
feinfühlig war. Gestern war ich wütend auf ihn. Aber Gestern ist
vorbei, und der Gedanke daran ist wie der Gedanke an eine matte
Milchglasscheibe, ich finde nicht viel, zu dem ich Emotionen
aufbringen könnte, ohne eine Heuchlerin zu sein. Die stärkste
Erinnerung ist wohl die, dass da überall an den Wänden gerahmte
Gedichte von Christian Morgenstern herumhingen, kleine schwarze Texte
vor zu viel weissgebleichtem Papier, und ich bin rumgegangen und habe
die alle gelesen. Ich habe Christian Morgenstern nie kennengelernt,
aber seine Gedichte reichen völlig aus, um ihn stärker zu hassen,
als ich je einen lebenden Menschen werde hassen können. 'Ich mag
Christian Morgenstern nicht', sage ich also. 'Mehr als das, ich hasse
ihn, und ganz besonders hasse ich seine Gedichte. Mir wird schlecht,
wenn ich noch eins hören muss.' Quentin grinst. 'Es sass ein
Wiesel...' 'Hör auf!' Ich schreie fast. Quentin wendet sein Gesicht
ab, wahrscheinlich, weil er nicht will, dass ich ihn lachen sehe. Mit
dem Handrücken wischt er sich das Lachen aus der unteren
Gesichtshälfte und fragt mich dann, warum ich Christian Morgenstern
denn nicht mag. 'Der ist doch lustig'.
'Nein',
sage ich. 'Nein, ist er nicht. Er ist nicht lustig. Er ist kein
bisschen lustig.'
'Vielleicht
nicht.' Quentin wirft die halbgerauchte Zigarette auf den Asphalt und
zertritt sie mit der Spitze seines Schuhs. 'Grässliche Schuhe', sagt
er. 'Die gehören meinem Vater. Meine habe ich verloren.'
'Wo?
An der Party?'
'Ich
weiss nicht. Ich denke schon. Ich sollte weniger trinken, glaube
ich.'
'Vielleicht.
Ja.'
'Hm.'
Quentin schweigt ein bisschen, als denke er an etwas Wichtiges. Er
hebt die Arme, verschränkt sie hinter dem Kopf wie bei einer
Dehnübung, lässt sie wieder fallen und vergräbt die Hände in den
Jackentaschen. 'Ich würde gerne auf diese Parkbank sitzen und den
Vögeln zuhören', sage ich, als er nichts mehr sagt, und zeige auf
die Parkbank am Weg, hinter der der Wald beginnt. 'Ich auch', sagt
Quentin, geht hin und wischt mit dem Ärmel seiner Jacke ein paar
Ameisen von der Bank.
'Müssen
wir nicht zu Aila?'
'Die
vermissen uns doch sowieso nicht dort.'
'Du
hast auf dem Tisch getanzt', sage ich, weil mir das gerade
eingefallen ist und beginne bei der Erinnerung zu lachen. 'Zu was für
einem Lied? Riff Raff?'
'Hardest
Button to Button', sagt Quentin und nimmt sein Gesicht in beide
Hände. 'Ich glaube, es war schrecklich. War es schrecklich?'
'Nein,
es war nett. Es war wirklich nett. Una wäre fast gestorben vor
Eifersucht.'
'Das
habe ich noch mitbekommen', sagt Quentin und lacht ein wenig
spöttisch, bevor er wieder leise wird. 'Das ist die letzte gute
Erinnerung an diesen Abend', sagt er irgendwann. 'Die allerletzte.
Wie der Tisch unter mir sich bewegt, wie Una sich bemüht, anderswo
hinzusehen, wie du vor der Musikanlage am Boden sitzt und auf deinen
IPod starrst.'
'Meine
auch. Danach ist, glaube ich, nichts Gutes mehr passiert. An der
ganzen Party.'
'Wir
hätten nach Hause gehen sollen. Bevor sie das Lied umgeschaltet
haben.' Quentin zündet sich eine nächste Zigarette an und verzieht
das Gesicht. 'Das sind die widerlichsten Zigaretten, die ich je
geraucht habe.' Seine Stimme ist rau vor Rauch. 'Klick-Zigaretten.'
Er fuchtelt mit der Schachtel vor meinem Gesicht herum, als helfe mir
das den Unterschied zwischen Klick- und richtigen Zigaretten zu
verstehen.
'Wirf
sie doch fort.'
'Hast
du mit dem Papagei geschlafen?' Die Frage klingt seltsam, als Quentin
sie stellt, und ich lache ihn aus. Er lehnt sich zurück, bis sein
Rücken das Holz der Parkbanklehne berührt, dreht den Kopf in meine
Richtung und bläst mir Rauch ins Gesicht. 'Hör auf damit', sage
ich. 'Das ist fast so widerlich wie die Vorstellung, mit dem Papagei
zu schlafen.' Quentin grinst ein bisschen und raucht selbstgefällig
und schweigend seine Zigarette.
Wir
sitzen noch eine Weile nebeneinander und hören den Vögeln zu, die
hinter uns im Wald schreien, dem Wasser, das in den Brunnen
plätschert. Als wir aufstehen, lässt Quentin die Zigaretten auf der
Parkbank liegen. Das Feuerzeug auch.
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