Freitag, 8. November 2013

Una: Frei und radikal


Aila hat Geburtstag. Es fällt mir in dem Moment ein, in dem ich das Meersalz vom Gewürzregal nehme, um es auf das Weissbrot zu streuen, das schon etwas hart ist, aber ich habe einen Nachtag, und ich will Salz essen, am liebsten pur, aber ich habe irgendwo einmal gelesen, dass man stirbt davon.


Es ist Ailas achtzehnter Geburtstag, und ich habe die ganze Nacht nicht daran gedacht. Wir waren bei J und haben gefeiert, aber nicht sie, sondern, ja, was wir eigentlich gefeiert haben, weiss ich auch nicht. Ob ihr um zwölf jemand gratuliert hat? Ich bin mir nicht sicher, ob es irgendjemand gewusst hat. Fee vielleicht. Nachdem wir zusammen in den Fluss gesprungen sind, ging Aila weg. Ich habe sie noch einmal gesehen: Sie stand an einer Türe. Ich habe, glaub ich, ein Glas Wasser mit ihr getrunken, in der Küche. Wenn ich mit Aila zusammen bin, spüre ich immer, was wir eigentlich alle sind, denn irgendwie hat sie so was Schwirrendes an sich, nicht, dass sie ständig verschwinden würde, im Gegenteil: Sie ist immer da; sie schwirrt um mich, um alle; sie schwirrt und setzt sich nicht nieder. Vielleicht tun wir das alle umeinander, doch bei ihr spüre ich es besonders, dieses Unfestsetzbare, während die anderen zumindest so tun, als wüssten sie, wo sich niedersetzen, wo sich hinlegen, wo mit wem welches Gespräch führen: Adorno in seinem Wohnzimmersessel; der Papagei vor der Toilette, weil dort die meisten Mädchen nicht damit rechnen, dumm angemacht zu werden, wenn sie sich gerade die Hände gewaschen haben; Fee auf dem Raucherbalkon, Häschen dort, wo sich gerade die meisten Leute ansammeln, Quentin und Tonna meist zusammen irgendwo am Rand, ausser wenn Quentin betrunken ist und auf dem Tisch tanzt, so wie gestern. Sie alle tun so, als wüssten sie, was ihr Platz ist und was man so macht an Partys. Dabei sind wir eher wie freie Radikale, zuckend und schwirrend bei Nacht. Tagsüber kleben wir in unseren Salzgittern fest und wollen nicht zugeben, dass wir uns da sicher fühlen. Wir wären alle gerne frei. Wir stünden alle gerne am staubigroten Strassenrand und warteten, bis der nächste Laster uns mit ans Meer nimmt. Und wir wären alle gerne radikal. Wir wären gerne die, die etwas Neues ausprobieren, die ersten Lederjackenträger oder Bebopspieler oder Pop-Up-Künstler. Aber alles, was wir tun, bleibt Imitation. Wenn wir am Strassenrand sitzen und Bier trinken, imitieren wir die verlorene Jugend bloss, denn wir hätten ja ein Zuhause, wo wir Bier trinken könnten. Dieses blosse Abbild einer Kultur lässt sie noch farbloser erscheinen. Wir imitieren Polaroidfotos. Selbst die Augenringe sind geschminkt. Unsere Eltern hatten schlechte Kameras. Wir haben Instagram.

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