Sonntag, 3. November 2013

Häschen: Es wird schon hell



Ich wache auf und erinnere mich, dass ich da mit Tonna geredet habe, auf diesem Balkon. Nachdem ich das Mädchen vom Klavier zur Bushaltestelle gebracht hatte, ihr grosser Bruder holte sie da ab, oder so. Wenn der wüsste. Ich hatte mich dann in irgendeinem Schlafzimmer, ich glaube, es war das von Js Eltern, jedenfalls hatte es einen Balkon, aufs Bett gelegt. Ich musste da eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, merkte ich, dass Tonna auch im Zimmer war, sie sass auf einem Stuhl und schaute durch die Balkontüre nach draussen. Sie sah ziemlich durch aus, und ich glaube, ich sagte irgendwas zu ihr, ich weiss nicht mehr, was, jedenfalls fing Tonna darauf an zu weinen, so richtig zu weinen. Die Luft war grauweiss vom Rauch, obwohl J eigentlich mal gesagt hatte, man dürfe drinnen nicht rauchen. Bestimmt hat Quentin damit angefangen, der macht sowas immer absichtlich. Ich konnte Tonna nur schemenhaft erkennen; ich hörte sie wimmern und sah, wie sich ihre Schultern vor- und zurückbewegten. Ich ging zu ihr hin und nahm sie am Arm und zog sie auf den Balkon, da ich keine Lust hatte, mit ihr in diesem merkwürdigen Schlafzimmer mit der dunklen Tapete zu sitzen.

Tonna stellte sich ans Balkongeländer mit dem Rücken zum Zimmer, den Kopf in die linke Handfläche gestützt, als würde sie auf jemanden warten. Sie drehte einen Plastikbecher in der rechten Hand erst auf die eine, dann auf die anderen Seite und beobachtete, wie Reste eines orangefarbenen Mischgetränkes in den Rillen des Bechers ihre Kreise zogen. Danach redeten wir, die Worte sind noch da, aber die Bilder dazu schwinden, als wäre Tonna immer hinter dem Rauch versteckt gewesen.



Tonna           Es wird schon hell.

Häschen       Drinnen sieht man ja echt fast nix mehr.

Tonna           Schau dir den Himmel an.

Häschen       Ich hasse es, wenn die Sonne aufgeht, bevor ich schlafen gehe. Allgemein wenn die Sonne während der Party aufgeht. Sie gibt mir immer das Gefühl, das alles zu Ende ist.


Tonna           Oder dass es gerade wieder anfängt.

Häschen      Eben, es fängt schon wieder an. Auf genau dieselbe Art wie am Vortag wie am Vortag wie am Vortag. Die Nacht gibt dir das Gefühl, dass alles sich in diesen Stunden verändern kann und dass am nächsten Tag nichts mehr ist wie zuvor. Wenn du dann die Sonne auf genau dieselbe Weise aufgehen siehst, wie sie es alle Tage zuvor getan hat, macht das alles, was in der Nacht geschen ist, bedeutungslos.


Tonna           Wenn es nicht bedeutungslos wäre, würde es niemand tun. Wenn alles, was wir an Partys tun, irgendeine Bedeutung hätte, würden wir alle am Boden sitzen, uns anschweigen und Himbeeren essen.


Häschen       Was meinst du damit?

Tonna           An Partys ist doch alles scheissegal. Wieviel du trinkst, mit wem du was anfängst, wieviele Zigaretten du schnorrst und an wen du dein Gras verschenkst. Du musst nur Spass haben. Spass ist das oberste Gebot. Und wenn du keinen hast, dann gehörst du da nicht hin.



Häschen       Du hast keinen, oder?

Tonna           Was?
Häschen       Spass.

Tonna           Ich weiss nicht.

Häschen       Klang jedenfalls nicht so.

Tonna           Ich denke, ich hätte Spass, wenn ich mich jetzt auf dieses Geländer setzen würde.

Häschen       Du spinnst.



Tonna setzte sich aufs Geländer. Ich lehnte mich vorsichtig ein wenig darüber. Tonna sah nach unten zur terrakottafarbenen Regenrinne voller Laub und Zigarettenstummel. Ich stand noch eine Weile da. Dann ging ich rein und hob eine halbvolle Ginflasche vom Boden auf. Ich ging zurück auf den Balkon und setzte mich mit der Flasche neben Tonna aufs Geländer.

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